Philip Rantzer

6.7.2000 -
6.8.2000


Michael Stoeber über Philip Rantzer
Michael Stoeber über die Zeichnungen von Philip Rantzer




Die Aufbewahrung der Vergangenheit
oder:
Was verbindet Philip Rantzer, Janis Joplin und Sigmund Freud
Von Peter Krüger-Lenz

Auf dem Spiegeltisch mit dem dreiteiligen Aufsatz steht ein Lautsprecher. Drumherum finden sich Dinge, die den Ort als privat kennzeichnen: eine angebrochene Weinflasche, ein zur Hälfte geleertes Tintenfaß, Bücher und Bilderrahmen verleihen den allgemeinen Hinweisen auf Vergangenes die individuelle Sphäre des Persönlichen. Das gesamte Utensil steht auf einem Teppich, der dem unbetitelten Werk von Philip Rantzer einen Raum gibt. Davorzustehen ist ein ähnliches Gefühl, als sei man im Begriff, unaufgefordert den privaten Bereich eines Fremden zu betreten; wie ein aufdringlicher Eindringling, im besseren Fall nur wie ein Voyeur. Immerhin: Solange man davor steht, bleibt alles, was vom Werk ausgeht, übersichtlich und freundlich. Betätigt man einen in der Nähe plazierten Fußschalter, tönt es knisternd aus dem Lautsprecher: "Oh Lord, won't you buy me a Mercedes Benz". Und umgehend werden und Peace. Die Hymne ist so ins allgemeine Bewußtsein eingegangen, daß sie zuerst einmal globale Erinnerungen freilegt, die nicht weit vom Klischee entfernt sind. "Kult" ist der offizielle Begriff für ein solches Phänomen Zehntausende sind damals direkt dabeigewesen, andere erinnern die Stimmung des gigantischen Open-Air-Spektakels von den Filmaufnahmen fröhlicher Menschen, die sich ausgelassen im Schlamm wälzen, die verliebte Zweisamkeit genießen oder sich treibender Musik überlassen. Wer damals nicht vor Ort war, kennt zumindest die Musikkonserve, die unvergleichlich Atmosphäre vermittelt. Wird sie kratzig auf einem billigen Plattenspieler genudelt, verkehrt sich die idealisierte Vergangenheit, die viele teilen, wieder zur privaten Szene. Auch dieses Wechseispiel zwischen kollektiver und individueller Erinnerung bleibt in einem angenehmen und durchaus üblichen Rahmen. Zum Gesang von Janis Jopiin bewegen sich die spiegelnden Flügel der Kommode knarrend vor und zurück. Der schlichte Ort der harmlosen Erinnerung wird plötzlich bedrohlich, denn die übersichtliche und handhabbare Ebene des Rückblicks gerät in Schieftage. Das Schlagen der Spiegelflügel markiert die Grenze zwischen einem Erinnern, wie es auch beim Blättern in Fotoalben stattfindet, und dem Hervorbringen von Momenten, die im Unterbewußtsein abgelegt sind. Von der individuellen Erinnerung gelangt Rantzer also zum kollektiven Gedächtnis. Von dort geht er weiter in die Tiefen der menschlichen Seele und berührt Erinnerungsfetzen, die nur verborgen archiviert sind. Vollständiger läßt sich nicht über menschliche Möglichkeiten der Aufbewahrung von Vergangenheit nachdenken.

Ygal Zalmona hat in seinem Text für Rantzers Katalog "l Love Art and Art Loves Me" Freudsche Symbolik in den Werken Rantzers beschrieben: "Ein Teppich ist eingerollt und in Beton getränkt, Schuhöffnungen sind verstopft - man kann den Schuh nicht anziehen." Dies sind Situationen, die jeden hin und wieder treffen. Sie haben ihren Platz in Alpäumen, in denen das ruhelose Hirn unlös,are Situationen schafft. Es gibt im Oeuvre Rantzers eine Reihe anderer Werke, die benachbarte Bereiche in den Tiefen der menschlichen Seele zum Klingen bringen: Wenn der Absatz eines Stöckelschuhs sich beständig im Kreis dreht und tiefe Rillen in eine darunter gespannte Pappe fräst oder sich aus einer Werkbank ein schwankender Turm aus Seifenschaum erhebt, so kann Rantzer mit einem solchen Bild gleichermaßen Kindheitserinnerungen ansprechen, wie auch Obsessionen. "Round table" heißt ein Werk von 1991. Auf dünnen Beinen steht unscheinbar eine Tischplatte, auf der zahlreiche Spuren heruntergebrannter Kerzen vergangene Zeit gegenwärtig halten. Als Rand ist ein ornamentales Stück Stoff rundumgespannt. Alles ist, wie häufig bei Rantzer, improvisiert mit Drähten verspannt. Darüber fliegt ein kleiner goldener Adler. Auch diese Arbeit ist auf den ersten Blick unscheinbar und wenig beunruhigend. Tritt man jedoch näher, zeigt sich, daß das Gestell bedrohlich zittert; wie kurz vor dem Start oder der Explosion. An dieser Stelle drängt sich der Vergleich mit den surrealistischen und dadaistischen Konzepten auf, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts über handwerkliche Verfahren auf das Unterbewußtsein abzielten. "Ecriture automatique", "Frottage" und "Döcalcomanie" waren Techniken, die eingesetzt wurden, um...

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Michael Stoeber über Philip Rantzer anläßlich der Verleihung des Heitland-Preises in Celle am 11.05.1977

Philip Rantzer, meine Damen und Herren, ist ein Enkel von Dada und Nerz, ein Enkel des Surrealismus und der theatralischen Groteske, ein Enkel von Kurt Schwitters, Jean Arp und Max Ernst. Wie Kurt Schwitters in den zwanziger Jahren durch die Straßen seiner Heimatstadt Hannover ging und sich unter den kopfschüttelnden Kommentaren seiner Nachbarn nach allerhand bric ä brac bückte, aus dem er dann in kühnen Montagen und Collagen Seilte Materialbilder fertigte, so ist auch Rantzer ein begeisterter Sammler all der Dinge, die andere Leute nicht mehr brauchen. In seiner Wahlheimatstadt Tel Aviv, in die der heute 40 Jahre alte Künstler als Vierjähriger mit seinen Eltern aus Rumänien kam, ist er als Flohmarktbesucher und Wiederverwerter bekannt. Auch er findet in Kellern und Speichern, auf Auktionen und Entrümpelungen den Stoff, aus dem seine Kunst entsteht. Wenn er die poveren Materialien vom Sperrmüll oder Schrottplatz im Objektbild, in der Wand- oder Bodenskulptur zu neuer Kenntlichkeit ordnet, dann folgt er dem ewigen Gesetz der Kunst, das auf der alchemistischen Verwandlung des Materials gründet. Diese Alchemie ist es die das Gelb, das von der Palette Vermeers in dessen Bilder wandert, zu reinem Licht und purer, transzendenter Immaterialität wandelt. Die die Spielzeugeisenbahn, die ein Jannis Kounellis in einer Spirale um einen quadratischen Pfeiler führt zum ermutigenden> emanzipatorischen Symbol adelt, das uns daran erinnert, daß wir für Fortschritt wie Last der Technik selbst verantwortlich sind und sie keineswegs blindes Fatum ist. Es ist diese artistische Alchemie, die bewirkt, daß die Wörter, die ein Homer oder Proust zu kühnen Metaphern zusammenschließen, ihre alltagsweltliche Bestimmung zweckgerichteter Kommunikation weit hinter sich lassen, und sich zu wetterleuchtenden Zeichen ordnen, die wie erkenntnishafte Blitze in das Dunkel unserer Existenz fahren.

Philip Rantzer hat von sich selbst einmal in einem Interview als "choreographer of junk", als Choreograph des Mülls, gesprochen. Das ist ein schönes und ,sprechendes Bild. Das scheinbar Nutzlose und Abgelebte erfährt unter der Hand des Künstlers eine neue Bestimmung und eine neue Existenz. Er haucht den Dingen frischen Atem ein und gibt ihnen ein zweites Leben. Unter seiner Regie erheben sie sich und proben noch einmal einen Auftritt. Sie beginnen nach seinem Taktstock zu tanzen und erzählen uns Geschichten, von denen sie sich selbst nichts hätten träumen lassen. Rantzer sorgt dafür, daß sie dabei von den optimistischen Melodien der Andrew Sisters, den aufmüpfigen Volksliedern der Neapolitaner oder der unverwüstlichen Bluesstimme einer Janis Joplin begleitet werden.

Da fassen die maladen Dinge Mut und vereinen ihre geborstenen, rostigen Stimmen zum gemeinsamen Chor. Der Chor schafft einen Hallraum, in dem die Stimmen der Erinnerung tönen, die Stimmen der Vergangenheit, der Tenor einer verlorenen und wiedergefundenen Zeit. Proust pur. Die gebrochenen Körper und geschundenen Leiber ausrangierter Maschinen und ausgebrannter Batterien, die unter- nehmungslustigen Drahtgestelle und fragilen Papiertüten, die spießigen Häkeldeckchen und gebogenen Tischlampen, die aufgesprungenen Sofas und zerfetzten Fauteuils, die verletzlichen Fragmente von Füßen und Köpfen, der wehrhafte Staubsauger, der zugeknöpfte Pelz und das langsam sich drehende Rad - dieses ganze abenteuerliche Panorama aus Klang und Bewegung, aus Farbe und Figuration schafft eine Bühne, auf der Personen und Mythen sich für uns drehen. Da paradieren die Kunstheroen des zwanzigsten Jahrhunderts, neben den schon genannten Merz- und Dadaalchemisten auch der Vater des ready made, Marcel Duchamp, oder der Herold einer unio mystica aus Kunst und Leben, Joseph Beuys. Da paradieren aber auch in metamorphotischer Verwandlung, nach dem ewigen Gesetz der Kunst also, die Gespenster und Gesichte der persönlichen Vergangenheit des Künstlers in Relikt und Reminiszenz. Nicht umsonst hat der Geschichtenerzähler Rantzer seinen Arbeiten anfangs suggestive Titel gegeben. Inzwischen ist er allerdings fast gänzlich davon abgerückt, weil ihn einige Unermüdliche in ermüdender Wiederholung immer wieder nach der ganz genauen Bedeutung dieser Titel fragten, als spräche die Arbeit nicht für sich. Das ist sehr schade, denn Rantzers Titel sind nicht nur auf sehr zarte und skurrile Weise schön, sondern erschließen dem Werk oft auch eine zusätzliche Sinndimension.

Eine Arbeit aus dem Jahre 1992 heißt "Sometimes 1 have a Hankering for my Wife", Manchmal habe ich Lust auf meine Frau. Die Installation befindet sich heute im Israel Museum in Jerusalem. Zu sehen ist da ein beeindruckendes und anrührendes und sehr poetisches Ensemble aus Waschschüssel und Spiegel, aus Tellern, Scheren und Frauen-haar. Das Ganze bewegt und regt im Betrachter die unterschiedlichsten Assoziationen an: libidinöser und erotischer Art, biographische Erinnerungen an ähnliche Situationen, Gedanken über die Rolle der Frau, über das eigene Verhältnis des Betrachters zur Frau und so weiter.

Dabei wird deutlich, wie das, was den Künstler angeht, auf subtile Weise zu etwas wird, was uns angeht. Natürlich muß ein kultureller und biographischer Minimalkonsensus gegeben sein, damit das funktionieren kann. Aber wenn wir uns im Werk von Philip Rantzer auf die eine oder andere Weise wiederfinden, wenn seine ausgemusterten Akteure zu vitalen Stellvertretern werden, dann erfüllt er damit ein Gesetz der Kunst. Ein Gesetz, das schon Homer, der Vater aller Geschichtenerzähler, als unerläßlich erachtete, das Gesetz des tua res agitur. Es will, daß der Künstler in seinem Werk unsere Sache verhandelt. Daß seine Recherchen, auf welchen Wegen auch immer, am Ende zu uns, dem Betrachter oder Leser seiner Werke führen. Das genau dies auch der Intention Rant-zers entspricht, erhellt aus dem schon erwähnten Interview. Er sagt dort - lassen Sie mich im Original zitieren - : ,,1 do works that come from my feelings and my experience, and he who never experienced those kind of feelings will find it hard to react to what I make. My art should be like a trigger activating in the public those feelings and memories if they exist. If not, it will simply not work. My public has to be charged with experiences. I would like my public to have gone at some point in his life through a crisis that left him or her with a scar that will be exposed in front of the work."

Ich übersetze: Meine Arbeiten haben mit dem zu tun, was ich fühle und erlebt habe. Wenn jemand solche oder ähnliche Gefühle nie hatte, wird er es schwer haben mit meinen Arbeiten. Aber bei denen, die solche Gefühle kennen, werden die Arbeiten sie in Erinnerung bringen. Sonst funktioniert das nicht. Der Betrachter braucht eigene Erfahrungen. Am besten ist es, wenn er in seinem Leben irgendwann einmal eine tiefgreifende Krise erlebt hat. Die Wunden wird er in meinen Arbeiten wiederfinden.

Meine Damen und Herren, ich möchte nicht im einzelnen auf die Arbeiten der Celler Ausstellung eingehen. Die meisten sind für diese Ausstellung neu entstanden, keine von ihnen war bisher in Deutschland zu sehen. Nicht der mechanische Mund des Totenschädels, der scheppernd immer wieder krächzt: "I love art and art loves me", nicht Pinocchio mit der langen Nase auf seiner schlanken Stele, nicht das Fahrrad mit dem weiß gekalkten Januskopf statt des Sattels, nicht das Buch mit dem Wortspiel über die Tränen und Verbrechen der Justiz, nicht der Sessel mit dem eingemauerten Torso oder die schäumende Kinderbadewanne oder der gläserne Kasten mit der Musik der Bee Gees. Ich möchte auf diese Arbeiten nicht eingehen, weil Philip Rantzer bis gestern abend noch mit dem Aufbau beschäftigt war, weil ich die Werke erst kurz habe sehen können und weil ich mir Zeit zu lassen pflege, ehe ich zu Urteilen komme. Vor allem...auch möchte ich Sie nicht durch eine allzu konkrete Analyse um das Vergnügen bringen, sich mit ihren eigenen Erfahrungen auf die Arbeiten hier in Celle einzulassen. Nur eines sei gesagt, sie erscheinen wie stets bei Rantzer schon auf den ersten Blick ebenso offen wie stringent.

Offen, um den aufmerksamen Betrachter mit seinen Wunden und Verletzungen, aber auch mit seinen Freuden und Beglückungen in sich einzulassen und stringent komponiert in der Partitur der kunstvoll aufeinander bezogenen Teile. Diese These möchte ich schon demonstrieren, und so tue ich es am Beispiel einer Arbeit aus dem letzten Jahr, der letzten Arbeit von Philip Rantzer, die ich vor seiner Ausstellung in Celle gesehen habe. Es handelt sich um eine multimediale Arbeit aus Tuch, Textilien, Zweigen, Holz und Metall. Und mit ihr geht er weit zurück in die Geschichte der Menschheit.

Sie zeigt daß Rantzer nicht nur ein phantasievoller KünstlerBastler ist, sondern auch ein phantastischer Zeichner und Maler. Knorrige, alterslose Bäume wachsen da auf langen Nesselbahnen eindrucksvoll in die Höhe. Sie bestehen nur aus nackten, kräftigen Stämmen und Ästen. Der Künstler hat sie auf ihr Skelett reduziert und statt einer bestimmten Spezies Baum zeigt er einen Archetypus der in seinen dramatischen und expressiven Verschlingungen wie ein menschliches Wesen wirkt. Aus den Ästen blicken Gesichter ein Astloch wirkt wie ein Ohr eine Gestalt stürzt wie ein Schwimmer oder Flieger in das Baumgepflecht und ein einsam im Raum schwebender, archaisch anmutender Kopf, im Profil gegeben, bläst die Backen auf und sorgt für Wind und Atem. Die wuchtige Faktur der Bäume kontrastiert sehr reizvoll mit der zarten Lineatur veritabler Zweige, die Rantzer in die Bilder montiert hat. Nicht weniger wirklich sind die Textilien die in den Bäumen hängen ein weißes Hemd und ein leuchtend roter Pullover dieser ein farblich reiz- voller Kontrapunkt zu dem grau-schwarz-weißen Baumriesen.

Auf den ersten Blick mutet das Ganze wie eine surreale Erzählung an. Aber das wäre nur eine und darüberhinaus eine sehr oberflächliche Lesart von Rantzers Werk. Denn sehr präzise und kalkuliert verbindet der Künstler in dieser Arbeit zwei Ideen, die weit in die Kulturgeschichte und in das kollektive Gedächtnis der Mensch heit zurückreichen. Es geht um Pneuma und Bäume. Das griechische Wort Pneuma meint einerseits Atem, Hauch und Wind oder auch Geist und Seele. Dahinter verbirgt sich seit der Antike die Vorstellung, daß der Atem Träger der Seele sei. Richtiges Atmen reinigt den Körper von unguten Affekten. Pneuma meint eine alles durchdrin gende Lebenskraft. Wie Wind und Atem nimmt auch der Baum im Mythos eine besondere Stellung ein. Auch er ist Symbol von Schöpferkraft, holt er doch aus der Tiefe der Erde immer wieder neues Leben ans Licht. Er ist Mittler zwischen Himmel und Erde Und wenn der Wind in seinen Zweigen raunt, vernimmt man göttliche Stimmen. In seinen Baumkronen machen Gottheiten es sich bequem. Mit milden Gaben wie Kleidern und Kleiderfetzen versucht man sie von alters her gnädig zu stimmen.

Diese Installation die wie ein moderner Hausaltar wirkt, ist vieles zugleich: tagheller Traum, ästhetische Phantasie, kultur-geschichtliche Reminiszenz und Erinnerung an Kindheitserlebnisse, an Klettern in Bäumen und an Märchenerzählungen von Baumriesen und Windgottheiten. Wie in seinen anderen Arbeiten verwandelt Rantzers Kunst auch hier auf raffinierte Weise die krude Materie. Er ordnet sie zu zeichenhaften Komplexen mit spiritueller Bedeutung. Wenn wir wollen, können wir uns darin wiederfinden.

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Michael Stoeber über die Zeichnungen von Philip Rantzer Bearbeitet von Reinhard Sonnak

Wer ein ständiger Gast in unserer Galerie ist, für den ist auch der 1956 in Rumänien geborene und heute in Tel Aviv in Israel lebende Philip Rantzer kein Unbekannter mehr. Allerdings wird er in ihn in guter Erinnerung haben als einen Künstler von Skulpturen, Skulpturen der besonderen Art. (ich möchte an die Ausstellungen in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein Gütersloh in 1995 und dem Daniel Pöppelmann-Haus in Herford in 1996 erinnern). Die Skulpturen folgen der artistischen Strategie der Assemblage und verbinden die disparatesten und unterschiedlichsten Dinge zu grotesken und surreal anmutenden Ensembles. Philip Rantzer ist ein unermüdlicher Flohmarktbesucher und auch in Kellern und auf Speichern, bei Auktionen und Entrümpelungen findet er den Stoff, aus dem seine Kunst entsteht. Der Künstler selbst hat einmal in einem Interview von sich als von einem "choreographer of junk" gesprochen, als von einem Choreographen des Müll. Des ist ein schönes und sprechendes Bild. Denn das scheinbar Nutzlose und Abgelebte erfährt unter Rantzers Hand eine neue Bestimmung und eine neue Existenz. Er haucht den alten Dingen frisches Leben ein und leiht ihnen einen zweiten Atem. Unter seiner Regie formieren sich die dinge neu. Rantzer hebt den Taktstock, und sie fangen an zu tanzen und erzählen uns Geschichten, von denen sie sich allein für sich, nichts hätten träumen lassen, die ausrangierten Maschinen und ausgebrannten Batterien, die verbogenen Tischlampen und aufgesprungenen Sofas, die spießigen Häkeldeckchen und verbeulten Waschschüsseln und was es da sonst alles noch gibt. Michael Stoeber hat Rantzer einmal in einem Aufsatz einen Enkel von Dada und Merz genannt, einen Enkel des Surrealismus und der theatralischen Groteske, einen Enkel von Kurt Schwitters, Jean Arp und Max Ernst.

Dieses groteske Zusammenführen unterschiedlicher Wirklichkeiten charakterisiert auch die Zeichnungen von Philip Rantzer. Aber - obwohl der Schwerpunkt der Arbeiten des Künstlers im skulpturalen Bereich liegt, ist die Zeichnung im Werk Rantzers alles andere als ein bloßes Accessoire, ein Anhängsel oder Hilfsmittel. Sie ist in keinem Fall etwa nur bildhauerische Skizze, sondern ein Medium ganz eigener Art. Gerade weil sie in ihrer künstlerischen Strategie sehr viel Ähnlichkeit mit Rantzers plastischen Projekten aufweist, wird deutlich: die Zeichnung ist das Herzstück seiner Arbeit, von hier aus empfängt sie ihre Impulse, Energie, frisches Blut. Für Rantzer ist die Zeichnung entscheidendes Mittel künstlerischer Äußerung und Auseinandersetzung, Mittel der Reflexion und Definition, nicht Nebenprodukt oder Vorbereitung, sondern die Sache selbst.

Auf manchen Zeichnungen sieht man ein Sammelsurium verschiedenster Motive. Obwohl oder gerade weil Rantzer sie in figurativ realistischer Manier wiedergibt, sodaß an ihrem Wiedererkennungswert nicht zu zweifeln ist, verwirrt die bunte Montage und disparate Mixtur den Betrachter. Die Sujets paradieren vor seinem Auge wie die Akteure eines verwirrenden Traums. Zeiten und Orte lösen sich abrupt und scheinbar unbegründet ab, so wie in Rantzers Bildern Geschichte und Gegenwart unterschiedliche Tages- und Jahreszeiten, Belebtes und Unbelebtes, Mensch und Tier und Ding sich in ebenso seltsamen wie faszinierenden Allianzen miteinander verbinden. Freud hat uns gelehrt den Traum als via regia, als Königssttraße zum Unbewußten zu lesen. Er hat uns gezeigt, daß das scheinbar Disparate, Zusammenhanglose, Unvereinbare - geheimen Begründungen folgend - doch zusammengehört. Diese Traumlogik mag es auch in den Zeichnungen des Künstlers geben, manches spricht dafür, nicht zuletzt, wenn unter den Motiven das Konterfei des Künstlers selbst aufscheint; aber Sie werden von mir keine ultimativen Erklärungen zu den Bildern hören. Ich habe sie dem Künstler nicht entlockt, ich weiß nichts von ihnen und sie zu wissen und Ihnen hier wiederzugeben, erschiene mir auch nicht sonderlich interessant. Oft genug illustrieren Träume hinter der individuellen Problematik und Pathologie des Träumenden ganz archaische Muster und Konstellationen. Und die zu erkennen, scheint mir sehr viel interessanter, denn hier erkennen wir uns selbst. Und für solche Auslegungsbemühungen sind die Zeichnungen Rantzers allemal offen.

Schauen wir zu erst einmal auf die Form. Das Medium, mit dem Rantzer arbeitet ist die flüssige Tusche. Das ist ein Medium, in dem die Chinesen von alters her als wahre Meister brillieren, über das niemand so ernsthaft nachgedacht hat wie sie und mit dem sie nicht nur eine großartige Maltradition, sonder auch eine veritable Malphilosophie verbinden. Jeden Pinselstrich haben sie auf seinen Ausdruckswert hin analysiert, die feinen, zarten und filigranen Linien ebenso wie den satten, breiten und ungebärdigen Strich, den trockenen Duktus wie die feuchte Faktur, den intellektuellen, bedachtsamen Strich ebenso wie die emotionale und leidenschaftliche Linie. Schauen wir auf die Zeichnungen Rantzers, so gibt es keinen Zweifel, dieser Künstler beherrscht sie alle und weiß sie nach seinen Absichten einzusetzen. Der schwarzen Tusche, in verschiedenen Graden mit Wasser versetzt und aufgelöst, gewinnt er einen ganzen Kosmos an Nuancierungen und Modulationen ab; nur selten einmal, auch hier nicht unähnlich der chinesischen Tradition, setzt er sparsam und vereinzelt zusätzlich Farbvaleure ein.

Die Zeichnungen werden beherrscht entweder von einer Palette kleinteiliger Motive oder vom großen, blattfüllenden Sujet. Das wirklichkeitsverfremdende, chiffrierende Moment ist immer da als Kombination unterschiedlicher Elemente. Nur im Motivpanorama lesen wir es auf der diachronen Ebene, also im Hinter- und Nebeneinander, im singulärem und großem Motiv im Übereinander und Miteinander. In Analogie zum Film formuliert, haben wir es einerseits bei den Zeichnungen mit Parallelmontagen zu tun anderseits mit Überblendungen. Beide Verfahren sind hervorragend geeignet, uns mit Bildmetaphern zu überraschen. Viele dieser Bildmetaphern (eine Metapher produziert natürlich immer ein Bild, aber ich sage Bildmetapher zur Unterscheidung von sprachlicher Metapher) viele dieser Bildmetaphern Rantzers sind wahrlich nicht ohne Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung. In der Art, wie sie auf die finsteren Seiten der menschlichen Existenz mit einem ebenso schwarzen wie lebensbejahenden Humor reagieren, zeigen sie einen skurrilen Heroismus, der dem Künstler selbst zu eigen scheint, dessen Familie durch viele widrige Lebensumstände, Krieg, Flucht, Vertreibung und Exil gegangen ist. Aber wir wollen die biographische Motivation, ohne sie gänzlich abzuweisen, nicht zu sehr strapazieren.

Schauen wir auf die Bilder! Da wäre der merkwürdige Spinnenmensch, der sich vor dem ihn bedrohenden Maschinengewehr einfach in sein Haus zurückzieht, das ihm wie eine Art Schneckenhaus aufsitzt, uns sich damit von dannen macht. Welch ein Traum, wenn man in einer krisengeschüttelten Kriegsregion lebt! Oder eine Leiter in drei Teile zerbrochen und doch noch als ganze fixiert in der Luft wie von Zauberhand.

Überhaupt die Leiter! Sie ist ein wiederkehrendes Motiv in den Zeichnungen von Philipp Rantzer. Sie ist Himmelsleiter und Jacobsleiter. Sie erinnert uns an Kämpfe und Initiationen, an Prüfung und Überwindung. Man klettert sie hoch und fällt sie runter. Sie ist eine Metapher für Leben und Sterben, Werden und Verwehen. So hat sie sich wohl auch in das Repertoire Freudscher Sexualsymbole geschmuggelt, wie sie den Höhepunkt markiert wie das, was die Franzosen petite mort nennen.

Oder das Haus! Heidegger spricht vom Haus der Sprache wie vom Haus des Seins. Rantzers Sprache ist das Bild, und auf seinen Bildern gibt es immer wieder das Haus. Wenn Heidegger vom Haus der Spreche spricht, verbindet er die Sprache mit dem Sein und das Sein mit dem Bauen. Das Wort "bin" ist verwandt mit der althochdeutschen Silbe "bu" für bauen; das Sein hängt also mit dem Bauen zusammen; der Mensch ist nur Mensch, wo er sich anbaut. Und wer oft neu anfangen und neu aufbauen mußte, für den ist das Haus natürlich mehr als für jeden anderen eine Sehnsuchtsmetapher oder auch ganz konkretes Sehnsuchtsziel.

Ein anderes Motiv ist die Partialisierung und Fragmentierung des Menschen. Wenn der Kopf einer Figur über ihrem Hals schwebt oder auf ihm liegt, thematisiert das kein Zauberkunststück, sondern die immer noch und immer wieder mißlingende Allianz von Körper und Geist, Gefühl und Verstand. Wenn Rantzer uns wie Marionetten sieht, an Fäden gezogen, ist das sein Kommentar zum Optimismus der Philosophie der Aufklärung und bedarf keines Kommentars. Die androgyne Überblendung von Mann und Frau in einer Person zitiert den platonischen Mythos von der uranfänglichen Idealgestalt des Menschen im "Gastmahl" genauso wie er für den Zeitgenossen Psychoanalytiker symbolisiert, die vielgeschmähte Lust auf Symbiose.

Eines der schönsten Blätter (wir können es Ihnen leider hier nicht mehr zeigen, das es schon verkauft ist und wir es für die Ausstellung nicht behalten konnten - ich beschreibe es trotzdem, weil es auch ohne wirkliches Bild ganz gut funktioniert) zeigt einen Raben oder einen ähnlichen Vogel, der sich auf einem altmodischen Krückstock niedergelassen hat. Er schaut aufmerksam auf den Bildschirm eines Fernsehapparates, über dem sich eine Wolke zeigt als sei er der Fernseher, das Orakel von Delphi, wenn die Rauchschwaden der verbrannten Opfertiere darüber hinziehen. Der Rabe ist natürlich auch so ein Auguren und Auspizientier; jedenfalls im Märchen pflegt er die Zukunft vorauszusagen, warnend oder verheißend. Nun schaut er, das große Mythentier, mißtrauisch und mißmutig auf die elektronische Kiste, aus der uns allabendlich immer neue, moderne Mythen entgegenflimmern, viel kurzlebiger zwar, eher Mode als Mythos, aber doch eine ernsthafte Konkurrenz zu den uralten Märchen aus uralten Zeiten - wie Heinrich Heine sagt. Rantzers Bild, das den Vogel so groß und so im Vordergrund malt und den übermächtigen Fernseher so klein und so im Hintergrund, scheint auch wie eine magische Beschwörung zu sein, eine Ansprache an uns als nicht Anwesende, die Dinge wieder umzudrehen, stärker auf die alten Stimmen zu hören und das moderne Talkgeschwätz zu ignorieren.

Spätestens hier wird deutlich, was Philip Rantzer auch ist: ein großer Moralist. Hinter seinen skurrilen und poetischen Tuschezeichnungen taucht ein Analytiker und Denker auf, ein scharfsinniger Beobachter und kritischer Kommentator der Menschen. Rantzers Blätter setzen damit eine Tradition fort, die die Zeichnung in der Geschichte der Kunst von Anfang an hatte. Zeichnen war schon immer ein Synonym für schöpferische Tätigkeit. Zeichnen bedeutet für Vasari, den großen Ranaissancekünstler und -kritiker, Erfinden, das Hervorbringen von Formen. Vasari meinte auch, die Zeichnung bilde sich im Intellekt des Künstlers und konkretisiere sich als Linie auf dem Papier. In diesem Jahrhundert sprach Paul Klee von Zeichnen als von "psychischer Improvisation" und "denkerischem Vorgang". Die vielleicht schönste Definition der Zeichnung stammt von einem der großen Meister der Linie, Matisse. Er sagte, die Zeichnung sei ein Mittel "um feinste Regungen und Schwingungen der Seele zu beschreiben .... um mehr Einfachheit zu geben, Ausdruck vom Ursprung her, der ohne Schwere unmittelbar in den Geist des Betrachters dringt. Alle diese Definition der Zeichnung treffen auch auf Philip Rantzers Zeichnungen zu.

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